zu zweit

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Freitag, 3. Juni 2011

Mapuche hungern für faires Gerichtsverfahren

Proteste: Mapuche fordern Freiheit für ihre gefangenen Kollegen.

Seit rund 80 Tagen befinden sich vier Vertreter des indigenen Volkes der Mapuche in einem Gefängnis im Süden Chiles im Hungerstreik. Ihr Zustand ist kritisch. Durchschnittlich haben sie 20 Kilo an Gewicht verloren. Seit Ende vergangener Woche sind zwei im Spital von Angol interniert. Die großen und regierungsnahen Medien berichten kaum über den Hungerstreik, obwohl seit zwei Monaten in verschiedenen Städten Chiles wöchentlich Menschen auf die Straße gehen. Nationale und Internationale Organisationen kritisieren das Wegschauen der Medien und der Regierung sowie das Anwenden eines veralteten Gesetzes.

Die streikenden Mapuche sind im März zu 20 beziehungsweise 25 Jahren Haft verurteilt worden. Sie sollen einen chilenischen Staatsanwalt 2008 überfallen haben, mit der Absicht, ihn umzubringen. Der Anwalt blieb allerdings unversehrt. Die Verurteilten weisen diese Anschuldigungen von sich. Das Ganze sei ein abgekartetes Spiel von Unternehmern, Staatsanwälten und Polizisten, um ihren historischen Kampf um ihre Rechte zu bremsen. Weiter verurteilte man die Mapuche unter anderem wegen terroristischer Verschwörung sowie Diebstahl von Holz. Ihre Verteidiger hatten keine Einsicht in die Ermittlungsakten, und die Staatsanwaltschaft durfte 36 geheime Zeugen aufrufen, deren Identität folglich nur den Klägern bekannt war.

Seit eh und je kämpft das Volk der Mapuche für eine Selbstbestimmung und die Rückgabe ihrer Länder. Als die Spanier Mitte 16. Jahrhundert das Territorium des heutigen Chiles zu erobern gesuchten, stießen sie auf gewaltigen Widerstand. Durch ihren Kampfeswillen und ihre Unbezwingbarkeit schafften es die Mapuche sogar als einziges südamerikanisches indigene Volk ein Abkommen mit der spanischen Krone zu erzwingen, das ihnen Teile im Süden Chiles als Autonomiegebiet zusprach. Nach der Gründung Chiles 1810 interessierte die junge Regierung dieser Vertrag kaum noch. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besetzte sie die Territorien der Mapuche und erklärte sie zu Staatseigentum. Die Länder wurden vorzugsweise an europäische Immigranten verteilt und die Mapuche an den Rand gedrängt. Heute verdrängen auch Bergwerke, Erdölkonzerne und riesige Baumplantagen die indigene Bevölkerung. Außerdem verbieten die Großgrundbesitzer den Mapuche den Zugang, um etwa Holz für den Heimofen zu sammeln.

In Chile leben nach Schätzungen von Nichtregierungs-Organisationen rund eine Million Mapuche, die sechs Prozent der Bevölkerung ausmachen. Über die Hälfte hat ihr natürliches Umfeld verlassen und sich in Städten wie Santiago de Chile und deren Ballungsräume angesiedelt. Dort verrichten sie vor allem einfache Arbeiten, so sind viele der indigenen Frauen als Hausmädchen angestellt. Die Mapuche, die ihren Sitten und Bräuchen im Süden des Landes noch folgen, müssen als Kleinbauern ums Überleben kämpfen.

In den letzten Jahren kam es zwischen Mapuche und Polizei sowie Sicherheitsleuten von Großgrundbesitzern zu verschiedenen gewaltsamen Auseinandersetzungen. Mapuche-Anhänger besetzten aus Protest Ländereien oder legten Feuer. Die Regierung stellte die Verhafteten unter Anwendung des Antiterrorgesetzes vor Gericht. Das Gesetz stammt aus der Diktaturzeit von Augusto Pinochet (1973-1990). Es erlaubt, Angeklagten wegen „terroristischen Handelns“ nicht nur vor einem zivilen, sondern auch vor einem militärischen Gericht den Prozess zu machen. Was unter anderem zur Folge haben kann, dass Verhaftete lange in Untersuchungshaft gehalten werden und bei Veruteilung mit unangemessen hohen Haftstrafen rechnen müssen. Ein Gesetz, das von Menschenrechtsorganisationen, vielen Politikern und den Vereinten Nationen scharf kritisiert wird. Ebenso der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich dagegen ausgesprochen.

Bereits vergangenes Jahr legten 34 Mapuche-Häftlinge einen Hungerstreik ein, der rund drei Monate dauerte. Sie beendeten ihn nach Zugeständnissen der Regierung. Diese verpflichtete sich, alle Anschuldigungen fallen zu lassen und das Antiterrorgesetz nicht mehr anzuwenden.

Ein Versprechen, das nicht eingehalten wurde. Ihnen sei nach den Regeln des Antiterrorgesetzes der Prozess gemacht worden, sagen die sich zurzeit im Hungerstreik befindenden Mapuche. So habe die Staatsanwaltschaft auch wieder anonyme Zeugen zugelassen. Sie fordern, dass ihre Urteile aufgehoben und ein neues faires Verfahren aufgerollt wird.

Das Oberste Gericht Chiles hat angekündigt, eine Nichtigkeitsklage heute Freitag zu behandeln. Bekommen die Mapuche keinen positiven Bescheid, wollen sie weiter hungern. (Camilla Landbø)

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