zu zweit

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Mittwoch, 4. Mai 2011

Ein afrikanisches Königreich im Dschungel Boliviens

Afrobolivianerin verkauft in Coroico Essen vor ihrem Haus.

Verlässt man die bolivianische Stadt La Paz auf 3600 Metern über Meer Richtung Osten, kurvt man durch eine hügelige Landschaft in die tiefer gelegenen Tälern der Yungas. Auf der Fahrt von den kargen Anden hinunter in die subtropischen Wälder zieht man an steilen Hängen vorbei, an welchen hier und dort Kokablatt-Felder zu sehen sind. In einem der bekanntesten Yungas-Dörfchen, in Coroico, trifft man auf die bolivianischen Andenbewohner, wie man sie kennt. Auf dem Dorfplatz allerdings verkauft eine Frau Zigaretten, die auf den ersten Blick nicht ins Bild passt: Es ist eine Schwarzafrikanerin mit farbigem Kaskaden-Rock und steifem Hut – in traditioneller Kleidung also, wie sie die Frauen des indigenen Andenvolks der Aymara tragen. Wieso das?

Die Vereinten Nationen (UN) haben 2011 zum Internationalen Jahr der Menschen afrikanischer Abstammung erklärt. Gezielter soll gegen die Diskriminierung der Nachfahren von Afrikanern vorgegangen und ihre Integration ins politische, wirtschaftliche und soziale Leben einer Gesellschaft gefördert werden. Auch sind die Staaten dazu aufgerufen, die Afro-Gemeinschaften in den Ländern und ihre Kulturen der übrigen Bevölkerung näherzubringen. In den Amerikas leben nach UN-Angaben heute rund 200 Millionen Menschen afrikanischer Herkunft, die nach wie vor unter der Diskriminierung als Erbschaft des Sklavenhandels leiden.

Die Zigarettenverkäuferin in Coroico gehört zu den rund 30.000 Afrobolivianern. Bolivien ist ihre Heimat, für ihre Vorfahren war es eine Hölle in der Fremde. Vor über 500 Jahren trieben die spanischen Eroberer erst die indigene Urbevölkerung in die Minen Boliviens. Später mussten schwarze Sklaven das Silber und Gold aus den Bergstollen schuften. Viele der Afrikaner, die von den Spaniern nach Südamerika verschleppt worden waren, vertrugen aber das kühle Klima in den hohen Anden nicht und starben in kürzester Zeit. So wurden sie an Großgrundbesitzer in den feuchtwarmen Yungas verkauft. Auf den Feldern sähten und ernteten die Sklaven Kokapflanzen.

Die Sklaverei wurde 1826 in Bolivien verfasslich abgeschafft. Es verging allerdings noch einige Zeit, bis diese Abschaffung auf Papier in Tat umgesetzt wurde, zumal sie vorübergehend auch wieder aufgehoben wurde. Heute betreiben die meisten Afronachkommen einen Dorfladen oder kultivieren ein kleines Stück Land. Sie pflanzen Zitrusfrüchte, Bananen und Kaffee an, vor allem aber Kokablätter. Die Täler der Yungas sind eines der zwei großen Kokablatt-Anbaugebiete Boliviens. Die Afrobolivianer haben die indigene Kultur der Aymara weitgehend übernommen, ihre Kleider, Religion und sogar die Sprache. In Liedern und Tänzen hingegen leben sie ihre afrikanischen Wurzeln nach wie vor aus. So kommt einer der beliebten bolivianischen Nationaltänze, die rhythmische Saya, aus den Yungas.

Unter der Regierung des linksgerichteten Präsidenten Evo Morales hat sich die Situation der afrikanisch Stämmigen verbessert. Mit der neuen Verfassungsreform 2009 gelten die Afrobolivianer als eine der 36 anerkannten „Nationen“ Boliviens. Außerdem sitzt seit 2010 erstmals in der Geschichte ein Afrobolivianer als Abgeordneter im Parlament. Jorge Medina hat vergangenen März eine Gesetzesvorlage angekündigt, die vorsieht einen „Nationalen Tag der Afrobolivianer“ einzuführen.

Trotz aller Besserungen der größte Teil der Afrobolivianer gehört zur armen Bevölkerungsschicht. In allen südamerikanischen Ländern sind im Vergleich zu den übrigen Landesbewohner die Nachkommen der Sklaven benachteiligt. Ebenso die Afro-Chilenen, Afro-Uruguayer oder Afro-Argentinier haben schlechteren Zugang zu Bildung und Gesundheit, verdienen weniger und leben oft in Armut und am Rande der Gesellschaft. In Chile etwa tauchen sie in den Statistiken bis heute nicht mal auf.

In einem der grünen Täler der Yungas nahe Coroico findet man das versteckte Königreich der Afrobolivianer. „Ich bin der König“, sagt in seinem Lebensmittelladen Julio Bonifaz Pinedo stolz. Bei einem festlichen Akt erhielt Pinedo vom Gouverneur von La Paz 2007 die Krone und den Zepter überreicht. Nach einer Stammbaum-Analyse konnte festgestellt werden, dass er Nachkomme eines senegalesischen Königs ist, der im 16. Jahrhundert als Sklave in den Silberminen von Potosí arbeiten musste. König Pinedo: „Meine Aufgabe ist es, die traditionelle Kultur der Afrobolivianer zu bewahren.“ (Camilla Landbø)
Der Afrobolivianer Julio Bonifaz Pinedo wird gekrönt (2007).

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