zu zweit

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Dienstag, 17. Mai 2011

Drohen Militärs bald Menschenrechtsprozesse?

Abgeordnete in Uruguay stimmen über Amnestiegesetz ab

Staatschef José Mujica sehe es lieber, das Volk würde noch einem darüber abstimmen.

„Früh am Morgen klopften sie an meiner Tür. Ich öffnete und ein Uniformierter richtete eine Waffe auf mich. Die Militärs stülpten mir eine Kapuze über und schleppten mich in eine Kaserne“, erinnert sich José Rocca. „Niemand wusste, wo ich bin.“ Die ersten fünf Tage habe man ihn nicht schlafen lassen und ihm nichts zu essen gegeben, nur Wasser. Sie wollten Informationen und Namen anderer. Sie verabreichten ihm Elektroschocks und wendeten das simulierte Ertrinken an. „Um nicht durchzudrehen, habe ich im Kopf Mathematikaufgaben gelöst und Schachpartien gespielt.“ Rocca war 26 Jahre alt, als man ihn 1973 in der uruguayischen Hauptstadt Montevideo festnahm.

Zwischen 1973 und 1985 herrschte in Uruguay eine Militärdiktatur. Linksgerichtete und Andersdenkende wurden vefolgt, verhaftet und gefoltert. Auf der Suche nach Regimegegnern gingen die Militärs systematisch vor, durchfilzten Viertel und nahmen Sektor um Sektor unter die Lupe: Kommunisten, Gewerkschafter, Studenten und später Kirchenarbeiter. Uruguays Militärdiktatur galt im Vergleich zu anderen damaligen Diktaturen in Südamerika als weniger brutal, verzeichnete weniger Todesopfer. Aber gemessen an der Einwohnerzahl war sie diejenige mit den meisten politischen Gefangenen. Bislang wurden nur ein paar Militärs wegen Menschenrechtsverletzungen vor Gericht gestellt und verurteilt.

Das könnte sich jetzt aber ändern. Mitte April hat der Senat für eine neue Interpretierung des Amnestiegesetzes gestimmt. Dieses schützt seit 1986 Militärs und Polizisten für ihre damaligen Verbrechen vor einem Prozess. Die Abgeordneten haben das „Interpretationsgesetz“ bereits im Oktober 2010 gut geheißen. Kommender Donnerstag müssten sie lediglich die kleinen Änderungen bestätigen, die der Senat vorgenommen hat. Seit fünf Wochen aber wird in Uruguay heftigst über die bevorstehende Abstimmung und ihre Gültigkeit diskutiert.

Das uruguayische Volk äußerte sich bereits in zwei Referenden, 1989 und 2009, gegen eine juristische Aufarbeitung der Vergangenheit. Die Kritiker weisen darauf hin, dass das Parlament nicht die Kompetenz besitze, nun übers Volk hinweg zu entscheiden. Selbst Uruguays Präsident José Mujica hat aus diesem Grund unterdessen seinen Parteikollegen des Linksbündnisses Frente Amplio geraten, gegen die Aufhebung des Amnestiegesetzes zu stimmen.

„Ja, ich war ein Tupamaro, ich trug den Decknamen Luis“, sagt Rocca. „Wir wollten eine gerechtere Welt, bessere Bedingungen für die Arbeiter.“ Erst sei er lediglich als Student an der Universität politisch aktiv gewesen. Als die Repression gegen Studenten zunahm, wuchs auch seine Kampfbereitschaft. Er schloss sich den Tupamaros an. „Das war noch vor dem Militärputsch“, erinnert sich Rocca, der heute Dozent an der Universität von Montevideo ist. „Ich führte ein Doppelleben.“ Zu seinen Arbeiten habe das Verbreiten von Ideen und die Materialbeschaffung gehört.

In den 1960er Jahren hatte sich die wirtschaftliche Lage in Uruguay drastisch verschlechtert, soziale Leistungen wurden abgebaut, die Arbeitslosigkeit nahm zu. In dieser Zeit bildetete sich die Nationale Befreiungsbewegung-Tupamaros, die die Missstände zu bekämpfen versuchte. Ihr gehörte auch der heutige Staatschef Mujica an, der deswegen insgesamt rund 15 Jahre  in Haft saß. Die Tupamaros befürworteten den bewaffneten Kampf und galten als die bestorganisierte Stadtguerilla.

„Nach drei Monaten überführte man mich in ein Gefängnis“, so Rocca. Zuvor habe man ihn allerdings eine Woche lang aufgepäppelt, damit Folterspuren nicht mehr sichtbar seien. Schließlich wurde er vor ein Militärgericht gestellt und wegen der Verbindung zu Subversiven zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. 1980 kam Rocca wieder frei.

Uruguayische Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur wie der Schriftsteller Eduardo Galeano haben vor rund zehn Tagen dazu aufgerufen, das Amnestiegesetz zu annullieren. Es sei „verfassungswidrig und verletze internationale Abkommen“. Mujica schlägt derweil ein drittes Referendum vor: „Der Mann auf der Straße soll darüber entscheiden, sonst diskutieren wir noch 40 Jahre weiter.“ Seine Partei Frente Amplio hat in einer Sitzung letzten Samstag beschlossen eine Kommission zu gründen, die diese Möglichkeit abklären soll. Vorerst aber wollen alle Abgeordneten der Frente Amplio am Donnerstag für die Annahme des Interpretationsgesetzes stimmen. Damit sollte im Abgeordnetenhaus die Mehrheit gesichert sein.

Bestimmt, Rocca würde seine Folterer gerne vor Gericht sehen. Allerdings glaubt er nicht mehr daran, dass Militärs und Polizisten für ihre Vergehen bestraft werden. Er wirkt resigniert. „Der Zug ist abgefahren, viele Täter und Zeugen sind bereits gestorben“, sagt der 65-Jährige, „und die Militärs, die noch leben, haben ja so einen Schweigepakt geschlossen.“ Außerdem hätten heute die Menschen auf den Straßen Uruguays andere Probleme, etwa wie sie die nächste Miete bezahlen. „Die Aufhebung des Amnestiegesetzes ist Thema der Alten und Intellektuellen“, meint Rocca. Egal, ob es annulliert werde oder nicht: „Es wird sich nichts ändern.“

Die uruguayischen Militärs allerdings sind beunruhigt. Nicht ohne Grund. Alleine einen Blick über den Río de la Plata nach Argentinien reicht, um zu erahnen, was ihnen drohen könnte. Argentinien hat 2005 zwei Amnestiegesetze als nichtig erklärt. Seither werden zahlreiche Prozesse gegen Diktaturverbrecher geführt. (Camilla Landbø)

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