zu zweit

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Sonntag, 10. April 2011

Wenn das Leben einem nicht mehr gehört

Argentinien: Mehrstöckige Blechunterkunft für Arbeiter.

Eingesperrt und zusammengepfercht: Auf einem großen Landwirtschaftsbetrieb rund 450 Kilometer von Buenos Aires entfernt schufteten und lebten 205 Bolivianer unter sklavenähnlichen Bedingungen. Vergangene Woche wurden sie auf Anordnung des Ministeriums für Sicherheit in einer Großaktion befreit. Wöchentlich, manchmal täglich, berichten in letzter Zeit argentinische Medien über die Rettung von zur Arbeit gezwungenen Menschen. Auf was die Sicherheitsleute bei den Durchsuchungen stoßen, scheint manchmal unwirklich. So trafen sie in einer illegalen Nähwerkstatt auch schon mal auf eine Frau, die mit Fußfesseln am Boden festgemacht war. Damit sie am Platz bleibt – und stundenlang näht.


Kinder, Frauen und Männer werden in Argentinien in landwirtschaftlichen Betrieben und in Nähereien versteckt ausgebeutet. Vielen von ihnen hat man eine gute Arbeit kilometerweit weg von Zuhause versprochen. Eben angereist in die fremde Stadt, nehme ihnen die Menschenhändler Ausweis oder Pass weg. Sie werden in miserablen Unterkünften gehalten, schlafen auf dem Boden oder Holzbrettern und erhalten einen Hungerlohn - Essen und andere Ausgaben abgezogen. Die Opfer kommen aus den untersten sozialen Schichten, meistens aus den ärmeren nördlichen Provinzen Argentiniens oder den Nachbarländern Paraguay, Peru und Bolivien. Jungen Frauen wiederfährt oft ein anderes Schicksal: In Bordellen zwingen sie Zuhälter unter Drohungen und mit Schlägen zur Prostitution.

Nach Angaben der Organisation La Alameda arbeiten im südamerikanischen Land über eine halbe Million Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen. La Alameda setzt sich für die Befreiung von Ausgebeuteten und für bessere Arbeitsbedingungen für Angestellte ein. Ihre Mitglieder protestieren vor Fabriken und Unternehmen, wo Sklavenarbeit gemeldet wurde. Manchmal stürmen sie Bordelle und suchen nach gefangen gehaltenen Frauen. La Alameda gehört außerdem dem argentinischen Netzwerk „Red No a la Trata“ - Nein zu Menschenhandel - an. Dieses registrierte in den vergangenen achtzehn Monaten 600 Frauen, die im Land für die sexuelle Ausbeutung entführt worden sind.

Nach Angaben des 2010 veröffentlichten Berichts zu Menschenhandel des US-Außenministeriums sind im Jahr 2009 254 Hausdurchsuchungen in Argentinien durchgeführt worden. Dabei wurden 421 Ausgeutete gerettet. Im Land würden allerdings nicht nur Sklavenarbeiter rekrutiert und gehalten, so der Bericht, der südamerikanische Staat sei auch Transitland. Die Opfer würden über Argentinien nach Chile, Brasilien, Mexiko und einige sogar nach Europa gebracht.

Die Metropole Buenos Aires scheint auf den ersten Blick eine Stadt mit europäischen Standards und Regeln. Blickt man hinter die Fassaden, merkt man rasch, dass dem nicht so ist. Ende März verurteilte auch Kardinal Jorge Bergoglio die Sklavenarbeit in der argentinischen Hauptstadt. „Mit Schmiergeldern ist hier alles möglich“, sagte der Erzbischof in einer Messe. Fährt man außerdem ein paar Minuten über die Stadtgrenze hinaus, bröckelt Buenos Aires´mondänes Anlitz schnell: Man ist in Südamerika – so wie man es sich vorstellt. Besonders gegen Süden sind viele Ortschaften heruntergekommen, mit ärmlichen Behausungen. Im Großraum Buenos Aires werden zahlreiche illegale Nähereien betrieben.

Seit 2008 sind Sklavenarbeit und sexuelle Ausbeutung in Argentinien strafbar. Mehrere Spezialeinheiten gegen den Menschenhandel sind auf regionaler und nationaler Ebene gebildet worden, Hausdurchsuchungen haben zugenommen und die Zahl angemeldeter Arbeitskräfte ist gestiegen. Im US-Bericht werden die Fortschritte gelobt, dennoch genügten die Bemühungen der Regierung nicht. Zu wenige Gerichte etwa hätten angeklagte Menschenhändler verurteilt. Und korrupte Polizisten, Richter und Politiker verhinderten effektive Maßnahmen gegen die Sklavenarbeit. Wenn es um fachliche Betreuung der Opfer geht, mangele es zudem an staatlichen Institutionen. Besonders Nichtregierungs-Organisationen und kirchliche Stellen kümmern sich um die Befreiten und ihre Angehörigen.

Sitzend protestierten letzten Mittwoch Parlamentarier und Mitglieder sozialer Bewegungen vor dem Kongresshaus in Buenos Aires. Sie forderten bis Mitte Jahr die Reform des Menschenhandel-Gesetzes. Ein Entwurf dazu liegt im Kongress bereits auf, aber die Mühlen mahlen langsam. Die Demonstranten verlangen: Menschenhandel als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen.
(Camilla Landbø)

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