zu zweit

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Montag, 21. März 2011

Erst Weihwasser, dann Kokablätter


Yatiri verteilt aromatisierten Rauch.
(La Paz) Und das nächste Auto. Es hält vor dem katholischen Priester an, der vor der Kirche auf einem Hocker steht. Der Geistliche taucht eine Rose ins Weihwasser und besprenkelt damit das Auto. Nun ist es gesegnet – nach christlichem Brauch. Das Auto fährt auf dem Dorfplatz ein paar Meter weiter und legt einen zweiten Stopp ein. Dieses Mal vor dem Yatiri, dem Schamanen des indigenen Volkes der Aymara aus den bolivianischen Anden. Der Yatiri läuft um das Auto herum, nebelt es mit aromatisiertem Rauch ein, bespritzt es mit Bier und bewirft es mit den “heiligen” Kokablättern. Eine zweite Segnung also – nach indigenem Ritual.

Hunderte mit Blumen und Luftballons geschmückte Fahrzeuge – Privatautos, Taxis, Kleinbusse – formen einmal im Jahr eine lange Kolonne zur Kirche in Copacabana hin. In der Karwoche feiert nämlich das Dorf am Titicacasee unweit der Andenstadt La Paz den Tag der Jungfrau von Copacabana. Die Fahrzeughalter haben ihre Gefährte vor Kurzem neu gekauft und versprechen sich mit den beiden Segnungen Glück, keine Verkehrsunfälle und eine lange Lebensdauer ihres Autos.

Die gleichzeitige Ausübung katholischer und indigener Zeremonien bei festlichen Anlässen gehört heute in Bolivien wie in Peru zum Alltag. “So finden auch Taufe, Kommunion oder eine Hochzeit in der Regel erst im Gotteshaus der Katholiken statt, dann draußen vor der Kirche wird der religiöse Akt durch ein indigenes Ritual ergänzt”, erklärt der bolivianische Archäologe Darwin Perez Russell. Der Katholizismus und die indigenen Glaubenslehren würden nebeneinander praktiziert werden und respektierten sich gegenseitig, durchmischt hingegen hätten sie sich nur wenig. Etwa im Gebrauch der Symbole, da könne könne man einen Synkretismus, eine Fusion der Religionen feststellen. “Der Yatiri hält während einer Zeremonie meist ein Kruzifix oder einen Rosenkranz in der Hand”, so Perez Russell. Bei archäologischen Ausgrabungen sei er auch schon auf Kelche der Aymara gestoßen, die nicht nur mit indigenen Mustern, sondern auch mit einem Kreuz verziert waren.

Eine Annäherung der Indigenas an den katholischen Glauben dürfte man ebenfalls vermuten, wenn es um die Ortswahl ihrer Zeremonien geht. Denn wo auf den Bergspitzen Boliviens ein Kreuz der Christen in die Höhe ragt, schlachten ebenso Indigenas für die Opfergabe an die Pachamama, Mutter Erde, ein Lama. Und überall, wo eine Kirche steht, verbrennen sie daneben in Ritualen Kokablätter und Kräuter. Der eigentliche Grund für die gemeinsamen heiligen Orten liegt allerdings im Christianisierungsvorhaben der Spanier während der Kolonialzeit – vor rund 500 Jahren. Perez Russell: “Die Spanier betrachteten die Rituale der Urbevölkerung als eine Teufelsanbetung.” So hätten sie den Aymara ihre Zeremonien verboten, ihre Tempel zerstört und darüber Kirchen gebaut. Und auf den Hügeln stellten die Kolonisatoren Kruzifixe hin. “Die Indigenas haben aber nie aufgehört, an ihre heiligen Stätten zu pilgern – bis heute.”

Die Aymara glauben an mehrere Götter, etwa an die Mutter Erde, an die Sonne oder an den Mond. In den Hügeln und Bergen leben die Seelen ihrer Ahnen. “Es finden sich viele Ähnlichkeiten zwischen der indigenen und katholischen Religion”, sagt Perez Russell. “Du darfst nicht lügen, stehlen, töten, sind zum Beispiel die drei Gebote der Aymara.” Weiter könne die Sonne dem christlichen Gott gleichgestellt werden, die Leben spendende Pachamama der Jungfrau Maria und die Berge den Heiligen. Dieser Parallelismus habe dazu beigetragen, dass sich heute die Mehrheit der Indigenas auch zum Katholizismus bekennt und beinahe alle nicht indigenen Bolivianer ebenso an die Götter der Urbevölkerung glauben und indigene Riten abhalten.

So wunderts nicht, wenn etwa der weiße Stadtbewohner in La Paz sich von einem Yatiri aus den Kokablättern die Zukunft lesen lässt oder bei schwerer Krankheit den Schamanen zu sich nach Hause ruft. Perez Russell: “Und für eine gute Gesundheit und Fruchtbarkeit schüttet jeder Bolivianer nach dem Anstoßen ein bisschen Bier oder Wein auf den Boden – zu Ehren der Pachamama.“
(Camilla Landbø)

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