zu zweit

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Sonntag, 27. März 2011

Die Schweiz Südamerikas feiert Unabhängigkeit

Gemütliche Momente an der Küste der Metropole Montevideos.

Wer in Montevideo durch die Altstadt flaniert, vorbei an Buchhandlungen, Cafés und kleinen Straßenmärkten, stößt an jeder Ecke auf öffentliche Banken, private Geldhäuser und Wechselstuben. Wird Uruguay deshalb die Schweiz Südamerikas genannt? Und wegen seines Bankgeheimnisses? Oder hat es mit seinem Landschaftsbild zu tun? Verlässt man die Hauptstadt und durchfährt das kleine Land, zieht man nämlich an zahlreichen Wäldern, satten Wiesen und grasenden Kühen vorbei.

Uruguay feiert sein Bicentenario: Vor 200 Jahren versammelten sich etwa hundert kämpferische Männer am Fluss Asencio und schworen sich Freiheit von der Kolonialmacht Spanien. Bis das kleine Land am Río de la Plata allerdings als Republik Uruguay deklariert wurde, vergingen noch einige Jahre, viele Schlachten mussten erst gewonnen werden. Dennoch: Der «Unabhängigkeitsschrei von Asencio» gilt als der Beginn der Staatsbildung. Und mit einem Festakt im Februar wurde nicht nur dieses Schwurs gedacht, der an den Schweizer «Rütlischwurs» erinnert, sondern auch eine Reihe von Festlichkeiten eröffnet, die bis Oktober 2011 dauern.

Was aber macht Uruguay zur «Schweiz Südamerikas»? Vielleicht ist es die Größe. Beides sind nämlich Kleinstaaten, eingeklemmt zwischen großen Nachbarländern. Uruguay liegt winzig anmutend zwischen Brasilien und Argentinien, den zwei größten Ländern Südamerikas. Und die kleine Schweiz ist gleich von fünf Staaten umringt, darunter die EU-Großmächte Frankreich und Deutschland. Im diesem politischen Kontext versucht sich Uruguay ebenso neutral zu geben und sich möglichst aus internationalen Konflikten herauszuhalten.

Der eigentliche Grund ist allerdings die politische Entwicklung am Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals entstand in Uruguay die erste soziale Demokratie auf dem südamerikanischen Kontinent. Das vom wirtschaftlichen Aufschwung begünstigte Agrarland führte zahlreiche Rechte für alle sozialen Schichten und die arbeitende Bevölkerung ein, wie Acht-Stunden-Tag, Arbeitslosenversicherung, bezahlter Urlaub und Altersrente. Es verbot Kinderarbeit, erlaubte die Ehescheidung, verstaatlichte Unternehmen und baute das Bildungssystem aus. Uruguay war beispielhaft, eine breite Mittelschicht wuchs heran, die Sterblichkeitsrate nahm ab, der Lebensstandard zu.

Von der Eidgenossenschaft auf der anderen Seite des Atlantiks waren die Uruguayer auf jeden Fall angetan. Sie waren begeistert von der kollegialen Regierung in der Schweiz, den sieben Bundesräten. Und so wurde Uruguay nach einem Referendum ab 1919 von neun Exekutivmitgliedern regiert. Der Präsident dieses «Nationalen Regierungsrats» wickelte die internationalen Geschäfte ab – ganz à la Suisse.

Nach diesen goldenen Jahren, die mit einem Unterbruch in den 1930er Jahren bis Ende der 1950er Jahre dauerten, ging es sowohl politisch als auch wirtschaftlich und sozial abwärts. In den folgenden Jahren blieb das kleine Land chronisch instabil. 1967 wurde das «Schweizer System» definitiv abgeschafft. Als 1973 das Militär die Macht ergriff, war Uruguay endgültig ein «normales» südamerikanisches Land geworden. Vertreter linker Gruppierungen wurden verfolgt und hingerichtet. Erst nach zwölf Jahren erfolgte die Rückkehr zur Demokratie.

Heute ist das Land eine Präsidialrepublik. Und wenn auch die Uruguayer glauben, sie würden die Bezeichnung «Schweiz Südamerikas» nicht mehr verdienen: Sie tun es doch. Uruguay ist nach wie vor der sozialste und demokratischste Staat Südamerikas. Die Bürgerrechte sind auf hohem Niveau gewährleistet, und im internationalen Korruptionsranking schneidet das Land regelmässig als das transparenteste Südamerikas ab. Seit 2003 wächst zudem die Wirtschaft wieder ununterbrochen, Arbeitslosigkeit und Armut sinken.

Auch das Bankgeheimnis trug zum Wohlstand bei, das als so sicher wie in der Schweiz galt. Aber Uruguay störte sich daran, 2009 auf der «Schwarzen Liste» der OECD-«Steueroasen» zu stehen. So stimmte das Parlament Ende 2010 für eine weitgehende Auflockerung des seit 1982 bestehenden Bankgeheimnisses. Und als die Schweiz, die ebenfalls auf dieser Liste gelandet war, Partner für ihre neuen Doppelbesteuerungsabkommen suchte, war Uruguay zur Stelle: Im letzten Oktober wurde das Vertragswerk unterzeichnet.

Die eher diskreten und bescheidenen Uruguayer sind selber stolz auf ihren demokratischen Sozialstaat. «In diesem Lateinamerika voll von Ungerechtigkeiten haben wir das gerechteste Land erschaffen, wo keiner mehr ist als der andere», sagte der uruguayische Präsident José Mujica kurz vor Beginn der Festlichkeiten zu den 200 Jahren Unabhängigkeit.
(Camilla Landbø)

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