zu zweit

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Donnerstag, 27. Oktober 2011

Lebenslänglich für den „blonden Todesengel"

Marineoffizier Alfredo Astíz hört sich das Urteil an.


Mit steinernem Gesicht hört sich der graumelierte Mann auf der Anklagebank den Urteilsspruch an. „Lebenslänglich für Alfredo Astíz“, liest der zuständige Richter vor. Im Gerichtssaal in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires bricht am Mittwochabend Jubel aus. Draußen vor dem Gerichtsgebäude umarmen sich die Menschen, die zu hundert die Urteilsverkündung über eine Großleinwand verfolgt haben. Im Chor rufen sie: „Mörder, Mörder, Mörder.“

Insgesamt standen 18 ehemalige Militärs im Rahmen der Megaklage ESMA wegen ihrer Verbrechen während der letzten argentinischen Diktatur (1976-83) vor Gericht. 16 von ihnen erhielten wegen Entführung, Folter und Mord in 85 Fällen lebenslänglich oder Strafen zwischen 18 und 25 Jahren. Zwei wurden freigesprochen. Zu den Opfern der Angeklagten zählten die französischen Nonnen Alice Domon und Léonie Duquet sowie Gründungsmitglieder der Menschenrechtsorganisation Mütter der Plaza de Mayo. 22 Monate hat der Prozess gedauert, über 160 Zeugen wurden aufgerufen, darunter Überlebende des Geheimgefängnisses ESMA.

Im Jahr 1976 putschten die argentinischen Militärs die demokratisch eingesetzte Präsidentin Isabel Martínez de Perón. Daraufhin begann ein systematisches Ausschalten von mutmaßlichen Gegnern. Die Uniformierten verfolgten alles, was ihnen links erschien, um „Ordnung im Land“ zu schaffen. Sie entführten unter anderem Studenten, Lehrer, Sozialarbeiter, Intellektuelle, Geistliche und Künstler. Die Diktatur Argentiniens gilt als die grausamste innerhalb Südamerikas. Menschenrechtsorganisationen zufolge wurden 30.000 Menschen zum Verschwinden gebracht.

Die Militärs installierten ein paar Hundert Geheimgefängnisse im ganzen Land. Dorthin wurden die Regimegegner gebracht, nachdem sie oft in Nacht- und Nebelaktionen verhaftet worden waren. In den Geheimgefängnissen wurden sie unter menschenunwürdigen Bedingungen gehalten und gefoltert, später meist umgebracht. In der ESMA, dem Schulungszentrum der Marine in Buenos Aires, wurde eines der größten Zentren aufgebaut. Rund 5000 Personen wurden dort festgehalten, nur wenige überlebten. Von der ESMA aus starteten außerdem viele der berüchtigten „Flüge des Todes“. Die Militärs luden Regimegegner in Flugzeuge und warfen sie aus der Höhe in den Fluss Río de la Plata.

Der „blonde Todesengel“, wie der Marineoffizier Astíz in Argentinien genannt wird, war besonders hinterlistig und brutal. Mit seinen guten Umgangsformen, einer auffallenden Hilfsbereitschaft und einem engelhaften Aussehen wusste er sich den Zugang zu Menschen zu verschaffen. Hinter der Fassade des netten jungen Mann steckte ein Folterer und Mörder. Im Prozess berichteten Zeugen wie er Gefangene mit Elektroschocks und Schlägen quälte. Ein Überlebender beschrieb den heute 59 Jahre alten Astíz als ein kalter und berechnender Mensch, der ohne Schuldgefühle alle hätte töten können.

Kurz nach dem Putsch gab sich Astíz als Bruder eines verschwundenen Dissidenten aus, um die Mütter der Plaza de Mayo auszuspionieren. In einer Kirche in Buenos Aires trafen sich jeweils viele dieser Frauen, die nach ihren verschleppten Kindern suchten. Astíz verriet die Namen jener, die der Organisation angehörten oder sie unterstützten wie die französischen Nonnen. Im Dezember 1977 kam es zu Verhaftungen. Die Leiche der Nonne Duquet fand man später angeschwemmt am Meeresufer, südlich von Buenos Aires. In seiner Abwesenheit erhielt Astíz für die Nonnen-Morde in Frankreich 1990 lebenslänglich.

Der blonde Todesengel und andere Militärs wie Ex-Diktator Rafael Videla wurden bereits nach der Diktatur 1985 für Mord, Folter und Entführungen von einem argentinischen Gericht schuldig erklärt. Ende 80er Jahre jedoch amnestierte der damalige Präsident Carlos Saúl Menem die Verurteilten. Erst mit Amtsantritt von Néstor Kirchner (2003-2007) wurden Prozesse gegen Diktatur-Verbrecher wieder ins Auge gefasst. Der Staatschef forderte, dass die Amnestiegesetze aufgehoben würden. Dem stimmte 2005 das Oberste Gericht zu. Seither werden zahlreiche Verfahren gegen Ex-Militärs, Polizisten und ihre Handlanger geführt. (Camilla Landbø)

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