zu zweit

zu zweit

Donnerstag, 1. September 2011

Morales wittert Verschwörung gegen seine Regierung

Marsch auf La Paz: Indigenas wollen keine
asphaltierte Landstraße durch ihr Wohngebiet.

Seit über zwei Wochen sind sie unterwegs, Männer, Kinder, Frauen und Alte. 600 Kilometer wollen die Indigenas zurücklegen und die Regierungsstadt La Paz oben in den Anden nach 40 Tagen erreichen. Im Tiefland, wo sie leben, soll eine Landstraße gebaut werden – mitten durch ein indigenes Gebiet, mitten durch einen artenreichen Naturpark. Die über 1000 Demonstranten aus dem bolivianischen Amazonas fordern, dass ihr Staatschef Evo Morales den geplanten Bau der Route stoppt und ihr Recht auf Mitbestimmung bei größeren Bauvorhaben in ihrem Territorium respektiert. Sie verlangen eine Alternativroute.

Der Protestmarsch wirft kein gutes Licht auf Morales. Der ehemalige Kokabauer trat 2006 als erster indigener Präsident Boliviens sein Amt an. Gewählt haben ihn vor allem Kokabauern und Indigenas, in der Hoffnung, einer aus ihrer Reihe würde ihre benachteiligte Situation verbessern. Was Morales vom Volk der Aymara in den ersten Amtsjahren auch tat. So zogen mit ihm viele indigene Politiker in die Regierung ein – eine Revolution in diesem bislang vorwiegend von Weißen regiertem Land. 2009 erwirkte er eine Verfasssungsreform, welche 36 verschiedene Volksgruppen und ihr Selbstbestimmungsrecht anerkennt.

Morales reagierte erst mit harschen Worten auf die marschierenden Indigenas, sie seien „Verräter“. Er stellte klar: „Diese Straße ist ein nationales Projekt und wird gebaut, ob die Indigenas wollen oder nicht.“ Morales wittert im Marsch eine "Verschwörung gegen die Regierung", um das Land zu destabilisieren. "Einige unserer Brüder werden von ein paar Nichtregierungsorganisationen beeinflusst, die den Fortschritt des Landes nicht wollen", sagte der Präsident. Im Visier hat seine Regierung die US-Entwicklungshilfeorganisation USAID. Diese unabhängige Behörde untersteht dem Außenministerium der USA. „In Bolivien finanziert USAID zahlreiche soziale Projekte für eine nachhaltige Entwicklung“, sagt der bolivianische Sozialwissenschafter Darwin Russell.

„Die USAID ist hierzulande nicht sehr beliebt“, so Russell. „Viele glauben, dass sie neoliberale Ideen im Land verbreitet hat.“ Dass die Organisation versucht habe, gewissen ideologischen Einfluss zu nehmen, sei wohl nicht ganz vom Tisch zu wischen. Trotz allem: USAID als Verantwortliche für den Marsch hinzustellen, ginge zu weit. „Tatsache ist, dass die geplante Route mitten durch einen Naturpark geht. In der bolivianischen Verfassung jedoch findet sich ein Artikel, der solche Projekte in geschützten Gebieten verbietet“, sagt der Sozialwissenschafter aus La Paz. Nicht nur Indigenas, auch zahlreiche Umweltorganisationen und andere soziale Bewegungen seien gegen den Bau.

Evo Morales machte sich nicht nur wegen seines Kampfes für Indigenas einen Namen. Auch als Verfechter des Umweltschutzes ist er weltweit bekannt. Immer wieder verteidigt er auf internationalen Konferenzen die Rechte der Mutter Erde, der Pachamama. So mutet es seltsam an, dass nun – ohne das Einverständnis der Indigenas – eine asphaltierte Landstrasse durch ein indigenes Wohngebiet gebaut werden soll. Ein Gebiet, das gleichzeitig das größte Reservat Boliviens ist: der Naturpark Isiboro Sécure (Tipnis). Der bolivianische Journalist Andrés Gómez, Direktor des Radionetzwerkes Erbol, meint zynisch: „Evo ist wie China, sozialistische im Diskurs, kapitalistisch in der Praxis.“

Die 306 Kilometer lange Fernstraße wird das schlecht vernetzte bolivianische Tiefland-Departement Beni mit dem höher gelegenen Departement Cochabamba verbinden. Ein 177 Kilometer langes Teilstück davon soll durch den 10.900 Quadratkilometer großen Tipnis verlaufen. „Da leben 69 indigene Gemeinschaften im Einklang mit der Natur”, sagt Edwin Alvarado von der bolivianischen Liga zur Verteidigung der Umwelt (Lidema). Mit dem Bau der Route würde der Lebensraum der Tipnis-Urvölker bedroht und das Ökosystem durcheinander gebracht werden. „500.000 Edelhölzer würden gefällt werden und 3500 Tier- und Pflanzenarten wären gefährdet“, so Alvarado.

Auf ihrem Weg nach La Paz verweigerten die Indigenas mehrmals Gespräche mit angereisten Regierungsvertretern. Sie wollen mit dem Staatschef selber sprechen. Am Sonntag schlug Morales sanftere Töne an: Er empfange die Protestierenden in La Paz. Außerdem verkündete die Regierung, sie sei bereit, mit den Indigenas eine Alternativroute zu finden. Wenn es um die USAID geht, gibts kein Pardon. „Die Organisation ist dabei, sich aus dem Land zurückzuziehen“, weiß Russell. Die Regierung habe entschieden, dass die USAID „die Koffer packen muss“. 2008 hatte Morales bereits den US-Botschafter und die US-Antidrogenbehörde DEA wegen „Einmischung in innere Angelegenheiten“ des Landes verwiesen. (Camilla Landbø)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen