zu zweit

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Donnerstag, 10. November 2011

Eine Jungfrau die Pech bringt

Als sie noch im Fußballstadion stand: die Jungfrau Guadalupe.

Die 2,5 Meter hohe Statue ragte mitten im Fußballstadion in die Höhe. Beschützend schaute die Jungfrau Guadalupe auf das Feld und die Spieler des argentinischen Erstliga-Fußballclubs Colón. Doch der Club in der von Buenos Aires nördlich liegenden Provinz Santa Fe verlor seit Längerem ein Spiel nach dem anderen. Eines Tages fand man den Sockel, auf welchem die Statue gestanden hatte, leer. Über Nacht war Guadalupe vergangenen September verschwunden und niemand wusste wohin.

Die Argentinier singen, tanzen und schreien, bis die Stimme versagt. Sie leiden und feiern für ihren Fußballclub. Er ist mehr als nur ein Fußballclub, er ist Leidenschaft, Liebe, Leben. Wenn Argentiniens Nationalmannschaft an der Weltmeisterschaft ein Tor schießt, bebt Buenos Aires. Aus allen Häusern hört man Schreie, Gejauchze, Jubel. Wenn dagegen die Mannschaft ein Tor kassiert oder das Spiel verliert, ist plötzlich Totenstille in der argentinischen Hauptstadt. Eine bedrückende Stille - als ob jemand Bedeutendes gestorben, etwas Schlimmes passiert wäre. Für viele Argentinier ist der Fußball auch mehr als Leidenschaft und Liebe. Etwas Göttliches. Ja, etwas Übersinnliches. So wundert es nicht, dass Fußball und Aberglaube im südamerikanischen Land oft Hand in Hand gehen.

Fans, Spieler und Mitglieder des Fußballclubs Colón verzweifelten schier. Sie waren sich sicher: Die Jungfrau Guadalupe ist „mufa“. So nennen die Argentinier Menschen, Tiere und Sachen, die angeblich das Pech anziehen. Eine Großzahl Argentinier glaubt zum Beispiel, dass ihr früherer Präsident Carlos Menem (1989-1999) „mufa“ ist. Weswegen viele nicht einmal seinen Nachnamen aussprechen, wenn sie von ihm reden – damit das Pech nicht auf sie übergeht. Gegen Menem wurden schon allerlei skurrile Mittel eingesetzt: Der ehemalige argentinische Nationaltrainer Carlos Bilardo zog sich als Pechschutz rote Unterhosen an, wenn er sich mit dem Ex-Staatschef traf.

In 30 Spielen hatte Colón 21 Niederlagen erlitten. Und dann verlor der Club obendrauf gegen seinen ärgsten Rivalen Unión, den zweiten Erstligaclub der Provinz Santa Fe. Das brachte das Fass zum Überlaufen: Die Spieler holten einen Hexer, damit er das Stadion von „bösen Geistern“ befreie. Der blinde Geisterbeschwörer soll auf dem Spielfeld herumgelaufen sein und plötzlich gefragt haben: „Gibt es hier eine Jungfrau?“ Damit sahen sich die Spieler definitiv darin bestätigt, was sie seit langer Zeit vermuteten: Die Jungfrau Guadalupe bringt Pech. Ein paar Tage später verschwand sie. Die katholische Kirche protestierte, die Jungfrau sei kein Amulett gewesen. Die Justiz öffnete eine Akte.

In einem Communiqué teilte der Club mit, die Jungfrau sei lediglich in Restauration. Als Colón trotz Aufforderungen seitens der Kirche und Justiz ihren genauen Aufenthaltsort nicht preisgab, nahm medial der Druck zu. Zur Beruhigung veröffentlichte der Club in einer lokalen Zeitung Mitte Oktober ein Foto mit dem Bildhauer und der nun restaurierten Jungfrau. Die Menschen fühlten sich betrogen, schnell erkannte man nämlich, dass dies nicht die Originalstatue war.

Schließlich meldete sich Ende Oktober der Mannschaftskapitän in einem Schreiben an die Justiz: Auf dem Weg zum Restaurator sei die Statue leider vom Kleinlaster gefallen und kaputt gegangen. Deswegen habe derselbe Skulpteur eine neue aus Stein gemeißelt. Mehrere Menschen aus der Nachbarschaft des blinden Hexers berichteten allerdings, gesehen zu haben, wie die Statue bei ihm zerstört worden sei.

Glaube, Aberglaube und Hexerei: Alltag in der Fußballwelt. Religiöse Abbilder und Statuen begleiten Spieler auf ihren Reisen, Trainer verspritzen Weihwasser oder machen Mannschaftsaufstellungen nach den Sternzeichen der Spieler. Als Coco Basile den argentinischen Fußballclub Vélez Sársfield trainierte, schickte er 1990 gleich drei Spieler zu Hexern. Mehrere Niederlagen hatten ihn dazu bewogen. In von Kerzen beleuchteten Zimmern mussten die Fußballprofis, wie später einer von ihnen berichtete, sich nackt auf einer Liege ausstrecken. Verkleidete Männer tanzten um sie herum und sangen „Ba-ba-ba.“ Später als Trainer des bekannten Fußballclubs Boca Juniors ließ er seinen Hilfstrainer in dessen Hosentasche auf Talk herumkneten, wenn ein Gegenspieler angriff. Standen hingegen seine Spieler vor dem Gegnertor, musste der Hilfstrainer Talk auf die Schulter von Basile schmieren, das sollte Glück bringen. Eine Reihe anderer seltsamer Rituale hielt er auch als Trainer der argentinischen Nationalmannschaft ab, die er von 1991 bis 1994 und von 2006 und 2008 betreute.

Die neue Statue sollte bald im Stadion aufgestellt werden. Die Fans und Spieler glauben nach wie vor, dass die erste Jungfrau eine „mufa“ war. Denn seit sie weggeschafft wurde, hat Colón ein Spiel gewonnen und zwei mit einem Unentschieden beendet. War an der Geschichte doch was dran? (Camilla Landbø)


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